Hannover, 20.10.2004
englische Übersetzung von Prof. Warren Breckman

Sehr geehrter Präsident Bush,
sehr geehrter Herr Kerry!

aufgewachsen an der Berliner Mauer, ein Kind der deutschen Teilung, Bernd Seestaedt, Doktor der Informatik, ruft ein Wort in Ihren wogenden Wahlkampf.

Ich liebe Ihr Volk, Ihr Land. Gern erinnere ich mich daran, morgens mit den Bankern von der Space Needle zur Downtown Seattles gewandert zu sein, deren fantastische Life Music Scene eben zu Ende ging. Ich habe schwarze Tränen geweint an jenem schrecklichen Septembertag.

In Ostberlin, im August 1961 stand mein Geschichtslehrer, 1.50m hoch, mit seiner "Kalaschnikow" vor einem Haufen Steinwürfel, den man später den eisernen Vorhang nannte. Niemand, nicht Polizei, Soldat, Vertrauensmann, konnten meinen Vater, Mann mit Parteibuch, da wegbringen, beim Winken zu den Verwandten auf der anderen Seite. Ich stand neben ihm. Es dauerte noch lange, bis sich 2 deutsche Vertreter, Willy Brandt und Willy Stoph, trafen, um das Recht der Familien erneut zu bedenken.


Sie oder Sie werden Fidel Castro treffen, aus ebenso wichtigen Gründen!
Sie werden beginnen, die Jahre der
Isolation Kubas aufzuheben.


In diesem Augenblick wird mich eine junge Polin, "meine schöne Gräfin Walewska", küssen, voller Bewunderung, aber ohne den Sabor cubanisimo der Liebe auf den Lippen -

und auf der anderen Seite werden Sie stehen, Sie oder Sie, und er, Fidel, und Sie werden sich die Hand geben.

Strafen Sie all jene Lügen, die da meinen, das amerikanische Volk übe sich in provinziell-politischer Nabelschau jenseits des alten Europa. Sehen Sie hin auf des Kaisers alte Kleider, sehen Sie den eisernen Vorhang vor Ihrer Haustür. Eröffnen Sie wieder den Weg zum Sonntagsausflug im Schnellboot von Miami nach Havanna.

Denn diese Stadt, Havanna, ist eine Musikhauptstadt unseres gemeinsamen Kulturraums und Omara Portuondo seine Botschafterin. Dieser Musik kann niemand widerstehen.


Helfen Sie Kuba aus der Armut.
Machen Sie den Weg frei für einen friedlichen Wandel in Kuba.


Die Ostdeutschen riefen 1989 auf der Strasse "Wir sind das Volk!", immer lauter bis zum Erfolg einer "stillen Revolution". Ostdeutsche, die ihrem Land vor 1989 den Rücken kehrten, hatten niemals einen guten Ruf daheim.
Ein Vergleich mit den Exil-Kubanern sollte erlaubt sein:
Einige unter ihnen werden, wie es im Osten Deuschlands geschah, heimkehren und Heimisches tun, aber ebenso viele werden wie die Geier im Namen ihrer Gesetzestitel hinüberfallen.


Vergessen Sie die Wahlmänner von Florida und den grossen Einfluss situierter Exil-Kubaner auf dieselben.
Verzichten Sie beide freiwillig auf deren Stimmen im Wahlkampf. Ehren Sie das Andenken des Don Quichote.


Alles ist möglich und besonders für Sie und Sie. Ein Ostdeutscher, dem man jahrelang die ehernen Gesetze einbleuen wollte, nach denen sich Geschichte "fast" wie von selber macht - wie sollte er anders können, als seine Geschichte neu zu schreiben.

Wissen wir jetzt, dass Männer wie Sie beide Geschichte machen können? Wir wissen es. Aber auch Omaras Gesang lässt den eisernen Vorhang erzittern, der die Vereinigten Staaten von Amerika und Kuba voreinander trennt. Mit Liedern aus der Zeit vor Fidel, der nicht tanzt, nicht singt.

Treffen Sie den grossen Alten von Kuba, wie einst Helmut Kohl den Honnecker traf -
geben Sie das Zeichen. Setzen Sie ein neues Zeichen für die Kraft des Zufalls, der eiserne Tore heben kann. Denken Sie an den kleinen Zettel, den ein kommunistischer Politiker 1989 in Ost-Berlin zu früh oder falsch vorlas, so dass schon am Abend die Mauerspechte zu picken begannen. Sie pickten auch für Fidel, der die "Errichtung einer Mauer" getadelt hatte.


Ihr jungen Americans, mit denen wir am 11. September geweint haben, pickt sie auf, die alte verschlissene Robe der Isolation Kubas!

Im April wird ein Ostdeutscher Don Quijote in Havannas Gassen stehen, wird abgerissene Fassaden sehen und rostige Fenstergitter und er wird seiner alten Heimat eine kleine Träne nachweinen, den sehr billigen 3 B's: Busse, Brot und Bücher, der vielfältigen Kunst fürs allgemeine Volk.
Und er wird Kubaner sehen, die Dollars brauchen, um sich ein lächerlich kleines Stück Luxus zu leisten, wie einst die Ostdeutschen jede Westmark absparten für den "Intershop". Menschen in 2 Klassen geteilt, durch einen grünen papierenen Lappen, Dollar genannt.

Zwei aus dem Ostblock, von hinter dem eisernen Vorhang, als gäbe es da ein Davor, Dahinter
- aber vereint in ihrer Begeisterung für die Musik des alten Kuba, gespielt von Pensionisten, die so alt sind wie die Isolation Kubas, werden Havannas Strassen sehen und die Spiegelsäle der alten kubanischen Musik suchen, der Trova, des Bolero, des Son. Und werden mit Strassenmusikern "Nosotros" singen -

und auf der anderen Seite, Sie oder Sie, und Fidel, werden applaudieren, vielleicht.

In unserer gemeinsamen alten Welt, ohne Terror, ohne religiösen Fanatismus, nur noch getrennt durch eine inzwischen banale Kleinigkeit:
Heute, nach 1989, kann kein Denkender, und auch kein Ostdeutscher mehr Kommunist sein und auch Fidel ist es nicht oder war es nie.

Kuba ist Teil unserer Geschichte:
"Mitten in deinem Herz, Athen, habe ich Lieder angestimmt", sang Theodorakis gegen Putschist Patakos.
Es ist das Lied des alten Europa, es ist auch das Lied der Amerikaner, denn Ihr seid ein Spross der alten Welt.

Havanna, April 2005, könnte unser gemeinsames Athen werden. Die Toga der Geschichte liegt bereit:
Für Präsidenten, für Alterspräsidenten, für Don Quijotes, für eine polnische Gräfin.
Und vielleicht wird in diesem Moment die schönste 70jährige der Welt ein Ständchen singen - Omara,


für einen weltweiten Buena Vista Social Club.

Ich sende diesen Brief an alle grossen deutschen Zeitungen, und, wie könnte es anders sein, an die "Washington Post".
Ich danke einem jungen kanadischen Geschichtsprofessor, Warren Breckman, für seine englische Übersetzung.
Und eine Flaschenpost geht an Fidel.

Dr. Bernd Seestaedt